Analytisches Hören

Analytisches Hören
Analytisches Hören bezieht sich in erster Linie auf Kompositionstechniken bzw. Kompositionsprinzipien (und natürlich in der Musik nach 1900 auf entsprechende Interpretations- und Improvisationsaspekte) wie Instrumentierung, Tonhöhe, -dauer, Takt, Form, Dynamik oder Tempo.

Bereiche, in welchen in erster Linie Fachtermini angewandt werden. Wenngleich das Wissen von diesen Fachbegriffen in jüngster Zeit zu einer Art Zankapfel in der Musikdidaktik wurde, kann doch behauptet werden, dass zu einer allumfassenden Musikausbildung zumindest das „Kennen“ dieses Fachwissens zählen sollte.

Die Argumentation der Verfechter des Kanons an Fachwissen beruft sich auf die Tatsache, dass der Begriff „accelerando“ eine Vokabel aus einer internationalen Musikfachsprache ist, welche von jedem Aktivmusizierenden weltweit gelesen und dementsprechend umgesetzt werden kann.

Die „Gegner“ dieser These berufen sich auf die Tatsache, dass in der Jazz- und Rocksprache bestenfalls „faster“ geschrieben wird und somit dieses Wissen nicht für „den“ Musiker „generell“ nötig sei.

Diese Diskussion ließe sich unendlich fortführen, denn nahezu alle italienisch geschriebenen Aufführungsvorschriften der „Klassiker“ werden im Jazz- und Rockbereich durch das englische Pendant ersetzt.

Hiermit wird jedoch lediglich die Frage nach der Notwendigkeit vom „Wissen, Übersetzen und Verstehen von Fachtermini“ in Frage gestellt, denn die Jazz- und Rockmusiker arbeiten – im Gegensatz zu vielen „Klassikern“ – in erster Linie „hörend“. Dort, wo ein Pianist eine Klavieretüde über das Notenbild erarbeitet, ist es in der „Musik nach 1900“ eher üblich, sich dem Werk „hörend“ zu nähern.

Nahezu alle Jazz- und Rockgrößen erwähnen immer wieder, dass sie „ihren Sound“ allein durch das Hören verschiedenster Musiker entwickelt hätten. Letzten Endes mag das Ergebnis das gleiche sein; vielmehr liegt der Unterschied im Weg: dort, wo der Klassiker die Vorschrift kognitiv anwendet, übt der Jazz- und Rockmusiker rein imitierend und nähert sich somit handlungsorientiert …

Dies bedeutet, dass bei den Aktivmusizierenden analytisches Hören durchaus in Verbindung mit Handlungsformen stehen kann. Das Wissen als solches muss demnach nicht im Vorfeld betrachtet, erklärt und reflektiert sondern kann vielmehr unmittelbar über eine imitierende Handlung „begriffen“ werden.

Diese imitierende Handlung, die ein Musiker am Instrument praktiziert, muss also für Schülerohren und –hände adäquat transformiert werden („tun statt reden“).

Plastische Hilfsmittel
Eine gute Möglichkeit, Schülern formelle Abläufe in der Musik zu verdeutlichen, besteht im Verwenden von Hörhilfsmitteln.

Dies können anfangs ganz einfache Dinge sein wie Stifte oder Papierstücke. Um beispielsweise einen Begriff wie „Terassendynamik“ zu erarbeiten, können die Schüler jeder einzelnen Sequenz ein in der Größe passendes Stück zuordnen.

Bei der formellen Rondoerarbeitung kann zum Beispiel die Form A – B – A – C – A durch die Darstellung Kugel – Stift – Kugel – Buch – Kugel – Heft visualisiert werden.

Ein Formverlauf lässt sich auch dreidimensional darstellen. Hierbei ist nahezu alles als Hilfsmittel – wie Knete, Ton, Steine, Holz, Metall usw. – geeignet. Die „Künstler“ versuchen ein musikadäquates Werk zu schaffen und analysieren hierdurch die formellen Aspekte.

Malen zur Musik
Gegenstandsloses Malen kann eine Erkennungs- bzw. Formfindungshilfe sein. Beim gegenstandslosen Malen ist es wichtig darauf zu achten, dass lediglich Verläufe dargestellt werden, was anfangs jüngeren Schülern Schwierigkeiten bereitet, weil dies nicht ihrer Vorstellung von „Malen“ entspricht; hier hilft manchmal die Aufforderung, ein entsprechendes „Muster“ zu malen.

Das Malrepertoire sollte sich lediglich auf Striche, Linien und Punkte, welche in der Länge, Dicke und Farbe variieren, beschränken.

Mithilfe solcher erstellten „Hörpartituren“ lassen sich später Formverläufe – auch wenn nur „nebenbei“ gemalt wird – erkennen bzw. interpretieren. Allerdings sollte auch diese Methode angeleitet und geübt werden.

Bewegen zur Musik
Auch hier beeinflusst die Qualität des ausgewählten Hörbeispiels maßgeblich das Ergebnis. Um beispielsweise die Begriffe „legato“ und „staccato“ zu erarbeiten, bietet es sich an, dass die Schüler versuchen, sich der Musik entsprechend zu bewegen.

Tücher und Bänder sind hier Hilfsmittel und unschätzbarem Wert!
Meist fällt es den Schülern aus der Zuschauerperspektive leichter, die Unterschiede herauszuarbeiten als beim Agieren. Deshalb bietet es sich hier an, in zwei Gruppen zu arbeiten, wobei je eine Gruppe der anderen vorführt.

Spielen des Musikverlaufs
In geübten Klassen ist es durchaus möglich, dass ein Schüler (bzw. eine Kleingruppe) die anderen „choreographiert“.

Die Darsteller werden hinterher befragt, inwiefern sie die Performance erklären können; wobei auch hier in zwei Gruppen – Agierende und Zuschauer – gearbeitet werden kann.

Media-Player
Wenngleich diese Methode von sehr vielen Musiklehrern heiß diskutiert wird (und umstritten ist), kann man sie durchaus in einigen Klassen zu bestimmten Anlässen anwenden und soll der Vollständigkeit halber Erwähnung finden.

Hierfür projiziert man die Visualisierungen des Media-Players im Vollbildmodus mit Hilfe eines Video-Beamers.

Musik kann man hier in verschiedenen Darstellungsweisen visualisieren. Solche Klangmuster stellen für visuell geprägte Menschen eine Möglichkeit dar, Hörbares zu sehen.

Hierbei sind allerdings im Vorfeld die einzelnen Optionen zu prüfen, denn nicht alles was „schön bunt“ aussieht, eignet sich auch, um es als „Hörhilfe“ zu benutzen.

Die Hörwand
Generell sollte man stets in Frage stellen, inwiefern das Schema „Hören – Erklären – Aufschreiben – Abschreiben – Auswendiglernen (– Vergessen)“ im handlungsorientierten Musikunterricht Verwendung finden soll bzw. darf.

Es gibt Termini, welche beim Hören immer wieder auftauchen, Begriffe, die man durchaus kennen sollte.

Eine Möglichkeit, diese „festzuhalten“, besteht in der „Hörwand“. Dies kann ein besonderes Plakat, eine Ecke im Musiksaal, ein großes Pappohr usw. sein. Hier werden alle Termini, die im Laufe der Musikstunden auftreten, aufgeschrieben, derart, dass sie für alle Schüler jeder Zeit sichtbar sind.

Mit entsprechenden Ikonen bzw. Tabellen versehen kann diese Wand eine Orientierungshilfe beim Hören bieten:

Die Schüler sollten den „Entstehungsprozess“ mitverfolgen können; hier können handschriftliche Aufzeichnungen oft wirkungsvoller sein als liebevoll erstellte Computergrafiken …

Eine Hörwand soll kein Tafelbild sein, das abgeschrieben und auswendig gelernt wird. Sie stellt vielmehr eine Hilfe im Sinne des „Super-Learnings“ dar und dient dem „sich scheinbar nebenbei einprägenden“ Lernen! (Die Information wird durch das Unterbewusstsein aufgenommen und prägt sich „wie von alleine“ ein)

Die Hörwand sollte „wachsen“, d.h. zu Beginn eines neuen Schuljahres noch leer sein, so dass jede neue „Hörerkenntnis“ vermerkt und somit festgehalten wird.

Das Hörtagebuch
Dieser Ansatz findet in jüngster Zeit vor allem im Primarbereich Verwendung. Meist im fächerübergreifenden Ansatz behandelt, wird hier das Musikhören mit künstlerischen oder schreibenden Anlässen gekoppelt, so dass jedem neuen Hörwerk ein weiterer Anker zugeordnet wird.

Achtung: Ein Hörtagebuch darf nicht zum aktionistischen Aufschreiben um des Aufschreibens Willen („Höre Baba Yaga und male ein eine Hexe …“) verkommen! Vielmehr muss hier der Aspekt des sinnvollen (und meist sich aufdrängenden) Vernetzens durchleuchtet werden!

Aufzeichnungen im Hörtagebuch sollten nach Möglichkeit nur einen (!) Schwerpunkt des Hörbeispiels fokussieren. Die Aufzeichnung muss im sinnvollen Zusammenhang zum Gehörten stehen.

Die Anschaffung eines Hörtagebuchs setzt voraus, dass es gepflegt wird! Von daher ist im Vorfeld genau zu prüfen, inwiefern dem Hören ein besonderer Stellenwert im Musikunterricht beigemessen wird (es gibt durchaus Klassen, in welchen reges Interesse am Musikhören besteht), um „didaktische Leichen“ zu verhindern …

Die Einzelbetrachtung
Spielt man Schülern ein Hörbeispiel vor, ist man oft erstaunt, dass im Streichquartett angeblich ein Keyboard, in der Sinfonie eine E-Gitarre oder im sinfonischen Blasorchester ein Didgeridoo gehört wurde …

Dieser „Misstand“ ist nicht auf „Unfähigkeit“ zurückzuführen sondern beruht vielmehr auf der Tatsache, dass (vor allem jüngeren Schülern) ein Grundvokabular fehlt. (Man kennt die Spiele, in welchen schnell Begriffe genannt werden sollen und fast alle Menschen auf die Frage nach einem Instrument mit Geige und auf die Frage nach einem Werkzeug mit Hammer antworten)

Die veränderte Kindheit führt dazu, dass Kleinkinder heutzutage mit allen möglichen Instrumenten konfrontiert werden; ein Cluster, welches im Musikunterricht seziert werden muss. Vergleicht man die Hörerfahrungen heutiger Kinder mit denen der Vorkriegsgeneration, so stellt man fest, dass sich Hören „damals“ auf Hausmusizierinstrumente (wie Blockflöte, Geige, Klavier), Kirchen-, Kirmes- und Drehorgel und bestenfalls noch Blasorchester beschränkten. Salon- oder Sinfonieorchester waren Seltenheit.

Heutzutage – dies muss nicht bewertet werden; es „ist“ so – ist das Hausmusizieren zur Seltenheit geworden. Dennoch werden die Kinder über Fernsehen und Radio mit jedweder Musik – von Sinfonieorchestern über synthetische Sounds bis hin zu allen denkbaren Naturinstrumenten wie Tabla, Sitar oder Djembe – konfrontiert.

Ein Schüler, der in die Schule kommt, hat in der Regel nahezu jedes Instrument schon einmal gehört. Manche kann er benennen, viele nicht. Aus den Instrumenten, welche er benennen kann, bildet er sein Vokabular, welches er im Musikunterricht anwenden möchte. Somit erklärt sich das Phänomen des „Didgeridoohörers“ von oben – der Schüler besuchte den Kindergarten in Sydney …

Analytisches Arbeiten bedeutet in diesem Fall, Instrumente gezielt hören und somit erkennen zu lassen.
Man erkennt in der Orientierungsstufe, ob ein Schüler in der Grundschule „Peter und der Wolf“ kennen gelernt hat, da hier – wenn es gut gemacht wurde – Begriffe wie „Streicher, Fagott, Oboe, Klarinette, Querflöte und Hörner“ angewandt werden.

Einzelbetrachtung in ihrer vollkommensten Form bedeutet, dass ein Instrument in der Schule gehört, betrachtet und gespielt (!) (bzw. ausprobiert) wird!.

Das Ziel der Einzelbetrachtung (welche im Notfall auch einmal mithilfe des Mediums Video durchgeführt werden kann) beläuft sich somit zum einen auf das „hörende Wiedererkennen“, zum anderen auf das Anwenden des entsprechenden Begriffs, denn: „gehört“ haben das Instrument nahezu alle Schüler.

Der Instrumentalistenbesuch
Außerschulische Lernorte haben durchaus ihren Stellenwert auch im Musikunterricht. In einer Schule, die in der Nähe einer Kirche liegt, darf kein Orgelwerk von der CD gehört werden.

Ein Besuch in der Kirche, das Kennen lernen des Organisten, der Raum an sich, all dies sind multisensorielle Faktoren, welche prägende Hörerlebnisse mit sich bringen.

Je außergewöhnlicher der Lernort ist, desto größer wird die Lernbereitschaft der Schüler sein. Instrumentalisten kann man vor Ort besuchen oder sie in die Schule einladen. Dies ist in der Primarstufe zugegebener Weise einfacher als im Sekundarbereich, da Grundschüler gerne „wen oder was mitbringen“; oft gibt es Eltern oder Großeltern, welche Musizieren und gerne einmal in der Schule hospitieren. Im Sekundarbereich ist so etwas peinlich …

Dennoch können auch hier „Spezialisten“ (etwa die Lehrer der ortsansässigen Musikschule) eingeladen werden, die ihrerseits somit auf potentielle Neuschüler stoßen können.

Der Konzertbesuch
Der Besuch eines Konzertes bietet ein Erlebnis, welches manchen Schülern von zuhause aus nie ermöglicht wird. Um diesen Besuch zu einem „Event“ zu machen, ist es dringend erforderlich, die Schüler hierfür vorzubereiten.

Eine hohe Form des Konzertbesuchs besteht darin, vor bzw. nach der Aufführung ein Gespräch mit dem oder den Künstler(n) in Form eines vorbereiteten Interviews zu führen. Hier sollte im Vorfeld ein „Schwerpunkt“ gebildet werden, so dass das Gespräch in einer gewissen (nützlichen) Linie verläuft.

Ein Konzertbesuch bedeutet nicht zwingend „klassisch“; ein Jazz- oder Rockkonzert, eine Musicalaufführung, ein Chor- oder Blasorchesterkonzert kann genau so reizend sein wie das Aufsuchen und das Gespräch mit einem Straßenmusiker.

Die Frage nach dem Komponistenporträt
Der Markt hierfür ist zur Zeit gut gefüllt; es gibt ganze Buchreihen mit obligatorischen CDs, in welchen Komponisten vorgestellt werden.

Hier sind Passagen ihres Werkes und ihres Schaffens zu hören und oft erfährt man, als wievieltes Kind sie wann und wo geboren wurden, wohin ihre Reisen liefen usw.

Abschließend gibt es vorbereitete Tests, in welchen die Schüler beantworten müssen, wann Mozart wo welches Werk gespielt hat, wie seine Cousine mit Vornamen hieß, wie viele Brüder Beethoven hatte, wie viele Sinfonien Schubert schrieb, mit wem Bach verheiratet war, wie viele Kinder er hatte und woher Wagner seine Inspiration beim Komponieren nahm. Inwiefern so etwas noch mit Musikunterricht zu tun hat, mag jeder für sich beantworten.

Oft wird argumentiert, dass das Ausschneiden und Aufkleben von kleinen Mozartbildchen, das bunte Anmalen eines Reisewegs und das Kreuzworträtselausfüllen an Stationen handlungsorientiertes Arbeiten sei. Musikalisch-handlungsorientiert ist es definitiv nicht!

Mit Sicherheit können sich Situationen ergeben, in welchen – vor allem im Primarbereich – Schüler unbedingt mehr von einem Komponisten erfahren möchten; vor allem Mozart ist hier eine Identifikationsfigur, war er doch im Grundschulalter bereits aktiver Musiker und Komponist. Und mit Sicherheit liegt der Auftrag des Lehrers darin, diesem Wissensdurst nachzukommen.

Von daher sollte ein Komponistenporträt (wenn überhaupt) erst dann in Angriff genommen werden, wenn es sich „aufdrängt“ bzw. wenn von den Schülern (!) der Impuls (!) ausgeht. Somit hat diese Herangehensweise projektorientierten Charakter, welcher die Kriterien eines solchen auch erfüllen muss. Weiterhin muss hier derart didaktisch reduziert werden, dass der „Input“ dieses Projektes der Lebenswelt der Kinder entspricht.