Weil wir‘s können …

Weil wir‘s können …

Von einem, der die digitale Notbremse ziehen will

Aus gegebenem Anlass, weil es mir hier in ähnlicher Form begegnet ist, an dieser Stelle nun der komplette (und ungekürzte) Text, des in der „Musikunterricht und Computer 2013“ erschienenen Artikels:

Zugegeben – ich bin auch auf diesen Zug aufgesprungen und vielleicht sogar so arg, dass ich mich eine Zeit lang als diesem Bahnpersonal zugehörig gefühlt und vielleicht das ein oder andere Mal nach der Lokomotivführermütze oder zumindest nach Abfahrtskelle oder Trillerpfeife geschielt habe … Denn: Ich bin schon ein kleiner Nerd. In der iWelt zuhause, bin ich einer jener Jungs, die natürlich den Mac zuhause stehen haben, das MacBook für unterwegs mit sich rumtragen, sich sofort mit Enthusiasmus auf iPhone und iPad stürzten, mit großer Freude kleine Applikationen sammeln und gerne mal zehn oder mehr Stunden Recherche und Einarbeitungszeit aufbringen, um dann etwas zu finden, was bei gewissen Aufgaben ein oder gar zwei Minuten Arbeitserleichterung bringen kann … Immer auf der Suche nach dem optimalen Workflow im digitalen und vor allem (nahezu) papierlosen Büro spielt natürlich computerunterstütztes Arbeiten auch im Unterricht bei mir eine große Rolle.

Aber nichtsdestotrotz wurde mir im Laufe der letzten Jahre die Reise zu schnell (vielleicht auch, weil ich älter werde), das Tempo zog an, die Stationen wurden weniger bzw. rasten viele ehemalige Haltepunkte scheinbar unaufhaltsam an mir vorbei und der nächste Halt schien nahezu unerreichbar, wobei ich weiterhin sehr viele Leute sah, die an alten Bahnsteigen stehen blieben …

Ich glaube, die erste mich nachdenklich stimmende Weiche war jene, die unmittelbar zu einer Station lenkte, welche von heute auf morgen zum Knotenpunkt schlechthin in der Schulwelt erkoren wurde: Smartboard. (Und am liebsten hätte ich noch ein Ausrufezeichen hinter den Begriff gesetzt. Verdient hätte er es sich ja, so wuchtig und mächtig er in letzter Zeit geworden ist.)

Gerade noch wurde jedem frontalen Agieren mit Höchststrafen gedroht (man hörte von Studienseminaren mit drakonischen Maßnahmen) und im offenen, individualisierten, selbstgesteuerten, freien aber auch am Dialog und am Prozess orientierten Arbeiten die Lösung jeglicher Probleme erkannt, als plötzlich – und niemand wusste woher (und kaum jemand fragte sich, warum) – smarte Firmen eine Ultimativlösung anboten: Endlich konnte erklärt, demonstriert, aufgezeigt, eingefügt, ergänzt, verschoben, konvertiert, mit Audio und Video versehen, in Dateien verpackt, hoch- und runtergeladen, und sogar handschriftlich (!) erweitert werden. Von heute auf morgen stand (Hartmut von Hentig lachte sich ins Fäustchen) die Tafel und somit der Lehrende wieder im Mittelpunkt – allerdings im latent-neuen Gewand und in erster Linie: kostenintensiv.

Dort, wo in den 90ern Tafeln abgehängt und Platz für Stellwände, Wandzeitungen, Packpapierbahnen, Moderationskärtchen, Klebepunkte und Whiteboards geschaffen wurde, nutzen Hausmeister die frisch zugekitteten Löcher, um alten Wein in neuen Schläuchen anzudübeln.

Und schwanger stand die Frage im Raum, wo um alles in der Welt denn ein (didaktischer) „Mehrwert“ eines Smartboards liegt. Ist es wirklich ein Mehrwert, wenn plötzlich Grafiken von A nach B geschoben, Texte mit digitalen Stiften unterstrichen, Videos abgespielt, mp3-Dateien gehört und alles schön abgespeichert werden kann – und das alles allein aus der Begründung heraus, dass es die Kinder fasziniert und bei der Stange hält? Ist es wirklich ein Mehrwert, eine teure Frontaleinheit zu installieren, für deren Kosten man bequem vier (oder noch mehr!) Rechner und einen Beamer kaufen könnte, also somit zum einen eine Reihe von Schüler-Arbeitsplätzen, zum anderen weiterhin digitale Präsentationen ermöglicht werden kann?

Und wäre da nicht die Kollegin gewesen, die mir voller Stolz erklärte, dass so ein Smartboard „ ja Computer und Beamer und Internet – alles in einem“ ist und „dass da schon alles drin“ sei, ich glaube, ich hätte es auch nicht gemerkt, denn immerhin schienen die Möglichkeiten anfangs auch unbegrenzt und man träumte von einem Pool, der einem Füllhorn gleich Materialien bis zur Pensionierung zur Verfügung stellen würde.

Nichtsdestotrotz gibt es allerdings nach wie vor die Situation, dass ein Smartboard auch ein Betriebssystem und verschiedene Programme hat, die abstürzen können (und es auch tun), dass Updates gewartet werden müssen, dass die Gerätschaft störanfällig ist und Kabel, Stecker und Buchsen vorhanden sind, die bedient und richtig angeordnet (oder gar mit Adaptern kompatibel gemacht) werden wollen, so dass irgendwann die Frage im Raum steht: Wo ist denn einer, der diese Arbeiten übernehmen kann? Und meist sind‘s dann jene, die sich gerne mit digitalen Dingen beschäftigen und weiterhin in einer Enklave ihr Dasein fristen und neben der Wartung des Computerraumes und der Website eine weitere Baustelle zu betreuen haben.

Denn eines habe ich auf der digitalen Reise gelernt: Im Schulbetrieb sind nicht nur sehr viele Menschen links und rechts der Bahnstrecke stehen und liegen geblieben – es gibt sogar eine nicht geringe Anzahl von Lehrern, welche glücklich und zufrieden weit abseits dieser Gleise leben. Und das gut und gerne – und ohne, dass ihnen etwas fehlt.

Natürlich gibt es Verweigerer („Ich lasse mir das nicht vorschreiben!“), ewige Nörgler („Was soll das sein – Informationszeitalter? Die sind ja noch nicht mal über richtige Rechtschreibung informiert!“), Kulturpessimisten („Was ist das für eine Gesellschaft, in der digital kommuniziert wird?“) und Reichsbedenkenträger („Ein Abiturient kommt nicht vorbei an Goethe, Schiller, Rembrandt, van Gogh, Haydn, Mozart, Mahler …“), die ihrerseits auch mit lautem Applaus die Gegentrends der Gegenseite auf ihre Fahnen schreiben und Dr. Spitzers Befürchtungen der digitalen Demenz schon immer ahnten und darin den Beweis finden, völlig zurecht jedes Kabel, an welchem kein Overheadprojektor hängt, im Klassenzimmer zu verbannen.

Aber haben sie nicht auch ein kleines bisschen Recht? Wenn wir auf der einen Seite von der vielzitierten Bildungsschere wissen, wissen wir auf der anderen Seite auch davon, dass es in der digitalen Welt eine ähnliche, vielleicht sogar noch schärfere Schere in den eigenen Reihen gibt?

Eine kleine – völlig subjektive (!) – Bestandsaufnahme im Kreise meiner Kolleginnen und Kollegen (Grundschule, Hauptschule und Studienseminar; Kleinstadt, ca. 30.000 Einwohner) ergab im letzten Jahr:

Von ca. 100 Lehrern im Alter von 25 – 63 Jahren:

  • hat außer mir noch einer einen Tablett-Computer
  • haben ca. fünfzehn Kollegen ein Smartphone; ein Stöbern im Appstore findet bei keinem statt – man vertraut auf Empfehlungen im Bekanntenkreis
  • hat außer mir niemand einen eBook-Reader bzw. hat niemand Verwendung für ein solches Gerät („Ein Buch will ich anfassen …“)
  • nutzen sechs Kollegen einen mp3-Player beim Sport; bei drei Kolleginnen ist das der ausgediente iPod der Kinder, die das Gerät auch befüllen
  • haben drei Kollegen zum Computer zuhause noch ein weiteres Notebook für unterwegs
  • kann außer mir noch einer ein Audiobearbeitungsprogramm bedienen
  • haben sich zwei Kollegen an ein Videobearbeitungsprogramm herangetraut und sind daran gescheitert
  • nutzen zwei einen Mac
  • nutzt niemand Linux
  • kennen zwei Lehrende die Plattform Moodle
  • weiß niemand, was das Anti-Viren-Programm wirklich tut
  • hat niemand bislang ein Betriebssystem neu aufgespielt (ein Kollege nannte allerdings einen Wartungs- und Reparatur-Spezialisten („Willy“, selbständig), der, wie sich herausstellte, solche und ähnliche Arbeiten bei mindestens zwanzig anderen Kollegen bereits vorgenommen hat und gerne weiter empfohlen wird
  • hat niemand eine Website erstellt bzw. mit einem Template gearbeitet
  • können ca. zehn Dateien zuverlässig konvertieren (*.doc nach *.pdf; *.jpeg nach *.tif, *.mp4 nach *.mov etc.); eine Kollegin weiß aber, dass ihr Sohn das kann
  • nutzt niemand Twitter
  • weiß niemand, was ein RSS-Feed ist
  • sind drei bei Facebook vertreten
  • nutzen zwei Online-Banking
  • hat niemand bislang Musik digital (bei amazon oder iTunes) gekauft (die Frage nach eBooks erübrigt sich in meiner Statistik)
  • wusste niemand, was Cloud-Computing ist
  • wusste niemand, was ein Wiki ist – der Wikipedia steht man äußerst skeptisch gegenüber, nutzt sie allerdings doch „wenn‘s schnell gehen muss …“

Dies konnte ich zumindest dahin ändern, als ich dropbox vorstellte, was von mindestens 20 Kolleginnen und Kollegen mit Begeisterung aufgenommen wurde. Eine Nachricht, dropbox habe Probleme mit der Datenverschlüsselung, führte dann allerdings dazu, dass letzten Endes noch sieben Kollegen den Service weiterhin nutzten – aber dies mit Begeisterung.

Derzeit wagen wir uns an die Arbeit mit EtherPad. Mit mäßigem Erfolg

Und um der Genderwissenschaft genüge zu leisten: Keine meiner Kolleginnen hat bislang alleine ein Upgrade durchgeführt oder Software installiert; Sätze wie „Was macht er denn jetzt?“ bzw. „Wieso machst Du das nicht?“ glaubten alle weiblichen Befragten schon mehrfach zu ihrem Computer gesagt zu haben.

Darüber hinaus schien es bei nahezu allen Lehrenden durchaus die Regel zu sein, das gewisse Programme nicht so funktionieren, wie es vorgesehen ist, was im Grunde nicht sonderlich verwundert, denn so gut wie keiner hat bislang Software gekauft: Die bekommt man von Kollegen, von Freunden oder von den Kindern bzw. wurde sie beim Aldi- oder Media-Markt-Paket zum Betriebssystem mitgeliefert. Die Tatsache, dass Peripheriegeräte von heute auf morgen nicht mehr in gewohnter Art und Weise reagieren wird als „so gegeben“ hingenommen und ein zuverlässiger Rechner, der störungsfrei die Aufgaben des Alltags übernimmt ist eher die Ausnahme.

Während sich also meine Nerd-Freunden auf Gleis 1 darüber den Kopf zerbrechen, wie die Performance des Moodles optimiert werden kann, welcher Nutzen durch eine Integration von Google+ gezogen und wie ein Twitter-Client mit mehreren Accounts genutzt werden könnte, pflegen meine Kollegen ihre angrenzenden Schrebergärten und verkünden, dass „ihr Word“ keine „so Akrobat-Dateien“ öffnen kann, sie ihre Mails nur mittwochs abrufen und der für die Konferenz wichtige Anhang gelöscht wurde – „weiß ja jeder, dass in diesem Zip-Zeug immer Viren sind!“.

Dort, wo allein von Dienstwegen her kein Kind auf der Strecke bleiben darf und alle mitgenommen werden, sieht man im eigenen Kollegium Zugführer in abgehängten Waggons in Kursbüchern von vor über zwanzig Jahren blättern. Eine Inspektion scheint auf beiden Seiten nicht vonnöten zu sein: Hochgeschwindigkeit auf der einen und wehmütiges Zurückblicken auf auf der anderen Seite. Spöttisches Belächeln in Richtung der Zurückgebliebenen und wohlwissend-grinsendes Kopfschütteln zu den nach vorne Preschenden. Und ein Sammelpunkt ist nicht in Sicht – beiden Routen entfernen sich immer mehr voneinander.

Dass die Reise in den hölzernen Waggons guter alter Analog-Schule als beschwerlich, vielleicht nach heutigem Dafürhalten sogar stellenweise als unzumutbar bezeichnet werden kann, ist unumstritten. Ein völliges Negieren digitaler Unterrichtsmittel hieße, die Dampflock zu reaktivieren – wobei gewisse nostalgische Aspekte aber immer noch durchaus reizvoll sein können, denn ein schöner und gut gegliederter Tafelanschrieb kann nach wie vor faszinieren, ebenso wie eine prägnante und durchdachte Frontalunterrichtssequenz. Aber ist die am Puls der Zeit orientierte Fahrt in den modernen Abteilen wirklich um so viel bereichernder und gewinnbringender?

Ich muss zugeben, ich habe sie genossen, die glänzende und moderne Umgebung im Hochgeschwindigkeitszug, habe mich mit den Mitreisenden köstlich amüsiert über die Digital-Analphabeten, die E-Mail-Ausdrucker, die Draufklick-Feiglinge, die Nach-Festnetz-Nummer-Frager, die E-Collaboration-Vermeider und die Telekom-Vertragsinhaber. Und fast schon war ich drauf und dran, auch endlich an einem Barcamp unter Gleichgesonnenen teilzunehmen. Denn dort schritt alles uneinholbar voran: Über gedoodelte Termine initiiert, die nach Möglichkeit nur über QR-Codes verbreitet wurden, diskutierte, entwickelte, kommentierte man – und das alles unmittelbar direkt und für alle gut sichtbar auf großen Twitterwalls (nicht oldschool, nicht face to face, das war ja so was von 90er … ). Man arbeitete fehlerfreundlich, streamte Vorträge und Diskussionen und rang protokollierend um Minimalkonsens, was in Wikis und somit in einem sich selbst dokumentierenden Verlauf festgehalten wurde und war sich letzten Endes darüber einig, dass diese Arbeitsweise die einzige der Zeit angemessene war, welche unmittelbaren Einzug ins Schulgeschehen zu nehmen hatte. Letzten Endes fußte alle in der Vision digitaler, frei zugänglicher und veränderbarer (open source) Unterrichtsmaterialien (education) durch Open Educational Resources (OER).

Doch noch bevor ich richtig einstieg und mitfahren konnte, erschien (zumindest aus meiner Warte) die Reise in einen Sackbahnhof zu führen und ich zögerte das Ticket zu lösen.

Das, was einst so neuartig, so wichtig und für die Schule unabdingbar schien, kam mir nur noch vor wie Brunftschreie einer kleinen Szene, die vordergründlich mit stolzgeschwellter Brust vom eigenen Vermögen kündete. Die Kluft zwischen denen, die können und denen, die noch nicht mal die Bereitschaft zum Ausprobieren entwickeln, wächst immer stärker. Und statt die (ohne Frage vorhandenen) Kompetenzen in den Dienst eines kritischen Hinterfragens nach einem für die Schule relevanten Mehrwert zu stellen, scheint die Freude am Können (und bestimmt auch die Freude am Aufzeigen desgleichen) blind für Vergangenes, Vorhandenes und Bewährtes zu sein und auch einen Dialog unmöglich zu machen. Letzten Endes wird nahezu jeder digitale Trend aufgegriffen und unreflektiert in jedwedes unterrichtliche Geschehen gepresst, frei nach dem Motto: „Weil wir‘s halt können …“

Ein nächster und vor allem einprägsamer Halt war für mich Twitter. Es erschien vordergründig äußerst reizvoll, alles einmal kurz und prägnant auf den Punkt zu bringen. In 140 Zeichen formuliert, mit Hashtags ergänzt schien diese Möglichkeit der Kurznachricht prädestiniert, um kleine Notizen für alle erreichbar zu veröffentlich. Dabei bleibt es ohne Frage, dass es reizvoll sein kann, diese Möglichkeit in den Unterricht zu integrieren und somit aufkommende Schülerfragen, Ergänzungen und Kommentare zu sammeln, die später gestellt werden können und somit einen Vortrag als solchen ununterbrochen gestalten (lassen) zu können. Das ist für die Schüler motivierend, es aktiviert, beeinflusst bestimmt das Arbeits- oder Lernklima und stellt eine Bereicherung in der Methode dar – nur: Ist es wirklich ein Mehrwert? Ließen sich diese Dinge nicht auch mit Zetteln, mit Tafel, mit Kärtchen oder mit Post-Its erreichen? Um bei der Bildungsschere zu blieben: Können wir wirklich behaupten, dass *alle* Schüler auch Zugang zu den hierfür nötigen Gerätschaften und dem hierfür erforderlichen Internet-Zugang haben? Wie soll die hierfür erforderliche Evaluation gestaltet werden und welche Konsequenzen werden daraus abgeleitet? Ist es angemessen, wenn ein Lehrer eine Arbeitsphase mit: „Wer ein Smartphone, ein Tablet oder einen Laptop hat, darf jetzt twittern, die andern können an die Tafel schreiben“ einleitet?

Abgesehen davon bleibt für mich immer die Frage nach Schülern mit LRS, AD(H)S oder sonstigen Krankheitsbildern, die konzentriertes Arbeiten in der Schule erschweren. Soll hier allen Ernstes noch mit einem Medium gearbeitet werden, das geradezu prädestiniert ist, die Aufmerksamkeit gezielt in allmögliche Aspekte abzulenken? Ist es nicht auch ein wenig die Aufgabe der Schule, dem sich immer weiter ausbreitenden Trend, dem gesprochenen Wort eines Referierenden surfend und auf einen Bildschirm starrend scheinbar nur beiläufig (die offizielle Ausrede heißt „multitaskfähig“ – man schaue sich einmal Land- oder Bundestagsdebatten an) zu folgen zumindest in Ansätzen erzieherisch bzw. Alternativen aufzeigend zu begegnen?

Und so ließen sich meine vom Reisefieber genesenen Gedanken nahezu unendlich weit fortsetzen. Ich frage mich, inwiefern denn auf Biegen und Brechen Wikis erstellt werden müssen, wo eine Zusammenarbeit mit Papier in keiner Weise schlechter wäre, weshalb Lehrer die Hausaufgaben via Facebook bekannt geben und warum Schülerergebnisse ungefiltert ins Internet und damit für jeden frei zugänglich gestellt werden.

Ist denn dem Computer wirklich völlig unreflektiert der Vorrang zu geben – nur weil es geht? Und ist letzten Endes die (laute und sensationsheischende) Polemik Schnitzers nicht doch ein wenig zwischen den Zeilen zu lesen?

Ich frage mich weiterhin, inwiefern denn dem Begleitpersonal nicht eine gewisse Fürsorgpflicht obliegt – und das sogar in mehrdimensionaler Hinsicht: Muss denn nicht mancher Schüler vor Bloßstellung geschützt werden? Müssen denn wirklich alle Ergebnisse veröffentlicht werden – nur weil wir es so einfach ist? Haben wir denn mittlerweile vor lauter Freude an problemlosem Publikmachen jedweden künstlerischen Anspruch verloren? Muss denn wirklich das Arbeitsergebnis Jugendlicher, die in völlig vereinfachte Zweitklass-Rhythmen fern jeder musikalischer Gestaltung etwas drauf los klappern der Welt Preis gegeben werden – nur weil wir es können? Verregnete Tage sind prädestiniert, um bei youtube den Begriff „Musikunterricht“ einzugeben und um festzustellen, dass wir am Bild, dass in der Gesellschaft von uns vorherrscht, zum Teil sogar selbst dran Schuld sind.

Ich habe keine Rückfahrkarte gelöst und möchte auch keine. Schon gar nicht, wenn ich vermehrt Ansätze eines gewinnbringenden Einsatzes digitaler Medien sehe: Eine an die Wand gebeamte Klaviatur, auf der alle die gedrückten Tasten nachvollziehen können, stellt einen Mehrwert dar, den so kein anderes Medium bieten kann. Ein Arbeiten in bzw. an einem digitalen Portfolio, in welchem Aufzeichnungen, Prozesse und Entwicklungen nachvollziehbar dokumentiert sind, was mit Video und Audio ergänzt wird, stellt einen Mehrwert dar, dem in dieser Form nur schwer Alternativen gegenüber zu stellen sind. Und selbst das Einflechten des Auftrages „Fasst einmal in 140 Zeichen zusammen, was für euch von Relevanz war“ kann in gewissen Situationen bereichernd wirken und – wohldosiert eingesetzt – gewinnbringend ins unterrichtliche Geschehen integriert werden, wobei dies durchaus auch auf einem Blatt Papier geschehen kann.

Ich wünsche mir ein Innehalten und eine Rast – mit genügend Proviant und Zeit zum Dialog. Ich wünsche mir nach wie vor die Spinner, die Nerds und die digitalen Trendscouts. Aber ich wünsche mir auch die Zur-Ruhe-Ermahner, die Bewahrer und Bedenker. Ich wünsche mir endlich Wahrnehmung und Akzeptanz auf beiden Seiten – es soll mehr werden als eine flüchtige Reisebekanntschaft.

Und vor allem mutige, deutliche und leidenschaftliche Diskussionen, auf dass der ein oder andere vergessene Waggon wieder an-, manch moderner Wagen wieder abgekoppelt und ein wenig neu rangiert wird.